Empathie heißt nicht gleich Empathie

Wer sich bereits etwas ausführlicher über das Asperger Syndrom bzw Charaktereigenschaften eines autistischen Menschen im Allgemeinen informiert hat wird feststellen, dass es teils sehr widersprüchliche Aussagen zum Thema Empathie, Gefühlsempfindung und Phantasie bei Aspergern gibt. Da sind auf der einen Seite die meist von Tagesblättern oder vermeintlich sachlichen Zeitschriften publizierten Artikel, zum anderen authentische Blogeinträge von Asperger Autisten selbst. Erstere postulieren gerne, der Asperger sei ein gemeinhin gefühlskalter Mensch, der wenig Phantasie besitzt und sich eine schlechte Vorstellung über andere Menschen machen kann. Das fatale ist hier, dass nicht nur  von der äußeren Wirkung auf innere Vorgänge geschlossen wird (was übrigens nicht gerade von Einflühlungsvermögen und Empathie zeugt), sondern auch im Kern kognitive Empathie mit affektiver bzw. emotionaler Empathie verwechselt werden.

Als ich aus der Arztpraxis mit meiner Diagnose heraus kam, war ich einerseits positiv entlastet, andererseits bahnten sich schon die ersten Grübelzwänge an. Der Facharzt schien während unserer Gespräche in einigen Punkten nicht ganz sicher zu sein ob die Asperger-Charakteristik bei mir zuträfe. Das kam vorallem durch die Tatsache, dass ich in einem gewissen Wortschatz durchaus in der Lage war, so wie ich auch jetzt einen Text schreibe Gefühle zu verbalisieren. Ebenso zeigen meine Arbeiten im Model- und Fotografiebereich dass ich über ein hohes Maß an Fantasie verfüge. Meine Empathiefähigkeiten sind im zwischenmenschlichen Bereich tatsächlich so gut wie gar nicht vorhanden, geht es jedoch um Grundsatzthemen moralischer Natur zum Beispiel, gehe ich schnell in einen derart emotionalisierten Zustand über, dass ich kaum mehr über ein solches Thema sprechen kann. Ein Beispiel hierfür wäre die Diskriminierung einer Minderheit. In diesem Fall kann ich, selbst wenn ich nicht zu dieser Minderheit gehöre, extrem viel Empathie empfinden. Es ist eine Art Ungerechtigkeitssinn, der sofort ausschlägt, sobald irgendwelche Handlungen von Menschen für mich unverständlich bleiben und Differenzen auslösen. Ein schwieriges Thema, welches ich hoffe einmal besser erfassen zu können, zurzeit gelingt mir das aber leider nur unzureichend.

Ein weiteres Stigma ergibt sich nicht nur dadurch, dass Aspies ihre Gefühle, Fantasie und Empathie nicht genügend verbalisieren und in Worte packen können und sie dadurch für NT’s praktisch nicht vorhanden sind – speziell bei weiblichen Asperger Autisten wie ich eine bin wird es ja noch einmal deutlich komplizierter. Sie gehen noch weniger als ein Asperger durch als jene Autisten, die bereits schon durch ihre umfangreiche Gefühlsdatenbank beschwichtigt werden, da Frauen sich in einigen Punkten von Männern nunmal unterscheiden. Dazu zählt der Umgang mit Emotionen und die Interessensentwicklung. Natürlich gibt es Überschneidungen, dennoch glaube ich dass Frauen immer sehr viel eher durch das Raster fallen werden, da sie, so meine Theorie, eher als Männer gelernt haben mit ihren Emotionen zu haushalten, statt sie, wie es Männer auf den ersten Blick meist tun, entweder auszuagieren oder zu verdrängen. Dadurch entwickeln sie oft umfangreiche Kompensationsstrategien, die auch den Ausdruck von Gefühlen, das Empfinden von Empathie und das Entwickeln von Fantasie betreffen.

Ich habe einmal irgendwo das Bild einer Art inneren „Datenbank“ der zwischenmenschlichen Regungen aufgeschnappt, die jeder Autist im Laufe seines Lebens erstellt. Darin gibt es viele Spalten, unter denen jeweils verschiedenste Interpretationsmöglichkeiten für menschliches Verhalten für den täglichen Gebrauch mit der Zeit abgespeichert werden. Je nach dem wie autistenfreundlich die Kindheit und das Umwelt desjenigen war und ist wird die Datenbank sicherlich unterschiedliche Einträge haben. So ist es nicht zwingend der Fall dass ich beispielsweise Witze einfach nicht verstehe. Wenn ich Menschen in einer humoristischen Weise miteinander reden höre, springt meine Datenbank an und gleich den Klang ihrer Stimmen, die Wortbedeutungen und ihre Gesichter (je nachdem wie viel ich gerade schaffe) mit bestehenden Einträgen ab. Leider habe ich recht viele negative Einträge, was zB bei einer Gruppe von Jugendlichen, die sich auf sarkastische Art und Weise unterhält bewirkt dass ich mich schnell verfolgt und unwohl fühle. Im Laufe meines Lebens habe ich derartige Gespräche oft mit dem Attribut „Mobbing“ versehen müssen, was solche inneren Gefühlsreaktionen förmlich millisekundenschnell zur Folge hat – ich kann es praktisch nicht steuern, höchstens mit einer gewissen Portion Optimismus und Rätselraten, es möge doch eine mir gegenüber neutrale oder positive Unterhaltung sein.

Alles in allem hat meine Datenbank aber ebenso auch neutrale Einträge, und so kann ich meine fehlende kognitive Empathie ausgleichen, die ihre Aufgabe bei allen anderen rein intuitiv und auf die vielfältigen Parameter einer jeden zwischenmenschlichen Situation zugeschnitten erledigt. Eigentlich vermisse ich meine kognitive Empathie gar nicht, denn meiner Meinung nach ist sie es auch, die einen Menschen eher seinen Herdentrieben und Bedürfnissen nach Authöritäten nachgeben lässt, während man mit einer emotionalen Empathie in Kombination mit seinem Verstand und dem nicht-vorhanden-sein der kognitiven Empathie eine gesunde Moral und eine eigenständige Denkweise entwickeln kann. Das ist etwas, was ich an meinem Autismus sehr schätze. Das einzige was es noch zu bändigen gilt, ist die emotionale Empathie, welche bei mir leider noch viel zu oft anschlägt.

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